Wir haben mit Jurist*innen gesprochen, die Begründung zum Gesetz gelesen, sowie unterschiedliche Stellungnahmen und Auswertungen zum Gesetzentwurf. Wir haben uns ausgetauscht und die gelesenen Texte mit unseren Erfahrungen mit den Versammlungsbehörden und der Polizei in Sachsen verglichen. Es folgt eine Zusammenfassung dessen.
- Kooperationsgrundsatz/pflicht
- Wer ist Veranstalter*in?
- Neues zu Ordner*innen
- Leitungslose Versammlung
- Stärkung der Rolle der Polizei für Versammlungen
- Medien
- Nutzung von Privatflächen
- Versammlungen in geschlossenen Räumen
- Störungen von Versammlungen
- Uniformierung- und Militanzverbot
- Möglichkeiten zur Beschränkung und Verboten von Versammlungen
- Verschärfung der Anzeigepflicht
- Ersatzversammlungen
- Teilnahmeuntersagung
- Vermummungsverbot
- Aufschiebende Wirkung
Kooperationsgrundsatz/pflicht
Das neue Versammlungsgesetz in Sachsen dreht die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts um. Erklärte das Gericht, dass die Behörden verpflichtet sind zu kooperieren und mit Veranstalterinnen zu sprechen und alles dafür zu tun, die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, dreht das neue Versammlungsgesetz für Sachsen dies um und erklärt, dass die Veranstalterinnen von Versammlungen Mitteilungspflichten gegenüber den Behörden haben. Wenn sich „wesentliche Änderungen“ ergeben, sind Veranstalterinnen „verpflichtet“, diese mitzuteilen, geschieht dies nicht, können sie sich strafbar machen. Weiterhin können Informationen und Unterlagen von Veranstalterinnen verlangt werden, die auch für „Gefahrenprognosen“ verwendet werden können. Eine ausgelegte „mangelhafte Kooperation“ kann zum Nachteil für Veranstalterinnen führen. Ein „Kooperationsgespräch“ mit Behörden und Veranstalterinnen soll es laut Gesetz jetzt immer geben, dabei sollen sie auch darüber informiert werden, ob die Polizei bei ihrer Versammlung vor Ort sein wird oder nicht. Über etwaige behördliche „Gefahrenprognosen“ müssen Veranstalterinnen auch weiterhin nicht unterrichtet werden, obwohl sich diese Prognosen auch auf mögliche Beschränkungen oder Verbote der Versammlung auswirken.
Wer ist Veranstalter*in?
Zu Veranstalterinnen können jetzt auch jene erklärt werden, die nicht nur zu diesen einladen oder diese angezeigt haben, sondern auch jene die zur Teilnahme aufrufen. Unter „Aufruf“ wird verstanden, wenn dabei über Medien im Internet oder mit Handzetteln Einladungen verbreitet werden. Als Veranstalterinnen gelten kann jede Person, die über die bloße Weiterleitung eines Aufrufs hinaus eine „Rolle für die Veranstaltung der Versammlung einnimmt.“ Es ist durchaus möglich, dass Personen gegen ihren Willen zu Veranstalterinnen erklärt werden können oder dass mehrere unterschiedliche Personen als mutmaßliche Veranstalterinnen angesehen werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärt dazu in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf folgendes:
„Personen, welche zu einer Versammlung aufrufen oder einladen, automatisch als Veranstalterin oder Veranstalter der Versammlung zu deklarieren, hält die GdP Sachsen verfassungsrechtlich für schwierig.
Diese Auslegung kann man auch sehr überspitzen – Wer im guten Glauben davon ausgeht, für eine bereits angemeldete Versammlung aufzurufen, wird damit automatisch zum Veranstalter, außer er fragt jedes Mal bei der Behörde an. Das wiederum ginge damit einher, dass die Behörde mit möglichen Anfragen überhäuft wird, ob Versammlungen angemeldet sind.“
Neues zu Ordner*innen
Ordnerinnen müssen nicht mehr volljährig sein, sondern mindestens 16 Jahre alt, wobei Ausnahmen bei Versammlungen angeordnet werden können. Ordnerinnen müssen ehrenamtlich tätig sein. Der Einsatz von Ordnerinnen bei Versammlungen scheint eine Verpflichtung zu werden. Bisher konnten Ordnerinnen eingesetzt werden, „mussten“ aber nicht, die Behörden sind vorher zu informieren. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist in Sachsen eine systematische behördliche Überprüfung von Ordner*innen bei Versammlungen, von denen eine unmittelbare „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ angenommen wird, vorgesehen.
Für diese von den Behörden „eingeschätzten“ Versammlungen wird von den Veranstalterinnen verlangt, die Namen und Geburtsdaten der Ordnerinnen im Vorfeld mitzuteilen. Versammlungsbehörde und Polizei prüfen dann, ob die Personen „geeignet“ sind oder nicht. Ungeeignet können nicht nur Personen sein, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden, sondern auch „sonstige tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Person keine ausreichende Gewähr dafür bietet, ihre Aufgaben als Ordnungskraft ordnungsgemäß auszuüben“. Dies könnte z.B. der Fall sein, wenn gegen Personen Ermittlungsverfahren laufen, die bisher nicht verhandelt wurden, aber auch eingestellte Ermittlungsverfahren könnten darunter fallen, oder andere Informationen in Datenbanken der Polizei.
Werden Ordnerinnen als „ungeeignet“ abgelehnt, müssen Veranstalterinnen andere Personen benennen. Die Daten zu den Personen werden über die Versammlung hinaus bei den Versammlungsbehörden gespeichert und können „auch zur Beurteilung der Gefahrenlage bei zukünftigen Versammlungen“ zwei Jahre lang aufbewahrt werden. Auch die Polizei hat die Möglichkeit in ihrer eigenen Dokumentation eines Versammlungsverlauf personenbezogene Daten zu speichern. Bei Versammlungen werden vor Ort die Daten der Ordner*innen überprüft.
Sollten Veranstalterinnen die Anzahl der Ordnerinnen nicht oder unrichtig angegeben haben, sowie bei Namen und Geburtsdaten unkorrekte Angaben mitgeteilt haben, begehen die Veranstalterinnen eine Ordnungswidrigkeit. Sollten vor Ort bei einer Versammlung mehr Ordnerinnen von den Behörden verlangt werden, müssten diese erst gefunden werden, dann überprüft. Das kann so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass ein Versammlungsbeginn verzögert und theoretisch sogar unmöglich gemacht werden könnte.
Leitungslose Versammlung
Neu geregelt wird der Fall, dass eine Versammlung keine „Versammlungsleitung“ hat oder diese nicht bekannt ist. In diesem Fall können die Teilnehmer*innen eine „Versammlungsleitung“ bestimmen, wobei es sich um jede Person handeln kann, auch, wenn diese nicht an der Versammlung teilnimmt. Geschieht dies nicht, kann sich die zuständige Behörde (Versammlungsbehörde oder aber auch Polizei) selbst in die Rolle der Leitung der Versammlung versetzen. Die behördliche Leitung der Versammlung würde demnach zum Beispiel auch die Möglichkeiten beinhalten, die Veranstaltung für stationär zu erklären, Entscheidungen über die Route treffen zu können – aber auch, die Versammlung für beendet zu erklären.
Stärkung der Rolle der Polizei für Versammlungen
Versammlungsbehörden werden die Polizei im Vorfeld noch mehr mit einbeziehen müssen als in der Vergangenheit. Zum einen für die jetzt obligatorischen Kooperationsgespräche, um Veranstalterinnen darüber informieren zu können, ob die Polizei anwesend sein wird oder nicht. Das Gespräch müsste laut Gesetz bei jeder einzelnen Versammlung in Sachsen erfolgen. Dies geht jedoch nicht mit einer Kooperationspflicht der Polizei gegenüber Veranstalterinnen einher. Die Überprüfung von Ordnerinnen kann nur die Polizei umsetzen. Sie hindert jedoch nichts daran, den Versammlungsbehörden Auskünfte zu geben, die strafrechtlich nicht relevant sind. So könnten Ordnerinnen abgelehnt werden aufgrund von Datensätzen der Polizei, denen keine strafrechtliche Verurteilung zu Grunde liegt.
Die Polizei bekommt noch mehr Einfluss bei der Vorbereitung von Versammlungen. Sie hat gerade mit dem Mittel der „Gefahrenprognose“ allerhand Möglichkeiten Einfluss auf Beschränkungen und Auflagen für Versammlungen zu nehmen. Auch für die Klärung der Identität von Aufrufenden für Veranstaltungen, die nicht bei Versammlungsbehörden angezeigt wurden, können Versammlungsbehörden die Polizei zu Ermittlungen heranziehen. Dies gilt umso mehr für Versammlungen in geschlossenen Räumen, die schon personell von Versammlungsbehörden nicht abgedeckt werden können. Auch hier kann die Polizei heran gezogen werden, wodurch die Möglichkeit zur behördlichen Ausforschung derartiger Veranstaltungen entsteht.
Neu ist ebenfalls, dass ab Beginn einer Versammlung eine parallele Zuständigkeit von Versammlungsbehörde und Polizei geschaffen wurde. Es besteht nun eine „Doppelzuständigkeit“, die keinen Eilfall mehr voraussetzt, wie bei Spontanversammlungen in der Vergangenheit, wenn Versammlungsbehörden nicht mehr zu erreichen waren. Die Polizei kann somit eigene Anordnungen erlassen – sie ist nicht mehr der Versammlungsbehörde nachgeordnet oder als zu assistierende Instanz vor Ort, sondern gleichgestellt.
Zwar sollen sich die Behörden „abstimmen“, aber die Anordnungen können zukünftig von einander abweichen, welches Veranstalterinnen und Teilnehmende von Versammlungen vor die Problematik möglicherweise sich unterscheidender Anordnungen stellt. Allgemein bekommt die Polizei mehr Befugnisse und Handlungsspielraum gegenüber Versammlungen. Dem gegenüber werden die Pflichten der Polizei gegenüber Veranstalterinnen sogar abgebaut, die Pflicht, dass sich Polizeibeamtinnen, die in Versammlungen entsandt werden gegenüber den Veranstalterinnen zu erkennen geben müssen, taucht im neuen Versammlungsgesetz nicht mehr auf.
Medien
Der Schutz der Presse wird als Aufgabe der Behörden festgelegt. Um diesen Schutz zu erhalten, müssen sich Pressevertreterinnen zu erkennen geben und als solche ausweisen. Streamer, bspw. für YouTube, unterliegen nicht diesem Schutz. Pressevertreterinnen dürfen in ihrer Arbeit nicht „gestört“ werden. Wer sie stört, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Sie dürfen nicht von Versammlungen, auch nicht in geschlossenen Räumen, ausgeschlossen werden, es ist eine Ordnungswidrigkeit sie dennoch auszuschließen. Ihnen ist es unter bestimmten Umständen erlaubt, sonst verbotene Schutzausrüstung mit sich zu führen, z.B. Helme oder Schutzwesten. Sie dürfen auch Gegenstände mit sich führen, die als „Waffe“ fungieren könnten, wie z.B. Stative für Kameras. Pressevertreter*innen dürfen sich ebenfalls nicht „vermummen“.
Das neue Versammlungsgesetz schafft eine faktische „Akkreditierungspflicht“ von Journalistinnen bei Polizei und Behörden um deren „Schutz“ zu erhalten. Die Pressefreiheit wird eigentlich im Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt, sie sollte eigentlich selbstverständlich sein und nicht noch im Versammlungsgesetz extra geregelt werden oder der „Schutz“ der Journalistinnen eigens betont.
Nutzung von Privatflächen
Erstmals wird geregelt, dass auch Gründstücke im Privateigentum für Versammlungen genutzt werden können, die dem allgemeinen Publikum zum kommunikativen Verkehr geöffnet sind, beispielhaft werden Bahnhöfe, Flughäfen oder Einkaufszentren genannt.
Versammlungen in geschlossenen Räumen
Aus der Begründung des Gesetzentwurfs wird ersichtlich, dass die Behörden stärker als bisher Veranstaltungen in geschlossenen Räumen in den Blick nehmen wollen und somit auch weitere Eingriffe ermöglichen. So heißt es: „Versammlungen können merkliche Auswirkungen auf ihr räumliches Umfeld entfalten.“ Sollte dies festgestellt werden, wird erklärt:
„Erfordert die Versammlung nach ihrem Gesamtgepräge aufgrund der Wechselwirkungen mit dem räumlichen Umfeld oder ihrer Gefährdungseignung einen besonderen Ordnungsbedarf, um die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten oder widerstreitenden Belangen gerecht werden zu können, liegt keine Versammlung im geschlossenen Raum, sondern unter freiem Himmel vor.“
Störungen von Versammlungen
Zur Frage, was „Störungen“ von Versammlungen sind, gibt es jetzt mehr Differenzierungen. Im alten Gesetz waren Störungen verboten, „die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern“; unter Strafe stand die Vornahme oder Androhung von Gewalttätigkeiten sowie die Verursachung grober Störungen mit der Absicht, Versammlungen zu verhindern, zu sprengen oder ihre Durchführung zu vereiteln. Während die alte Strafvorschrift fast wörtlich übernommen wird, ist im neuen Gesetz die Störung nicht mehr nur in der Verhinderungsabsicht verboten, sondern bereits bei Vorlage des Ziels, sie „erheblich zu behindern“.
Eine verbotene „Störung“ liegt vor, wenn es sich um „reine Verhinderungsaktionen“ oder „Verhinderungsblockaden“ handelt, deren Ziel die erhebliche Behinderung oder gar Vereitelung ist, besonders wenn dieses Ziel erreicht wird.
Im Gegensatz zum alten Gesetz wird nun bei Verstößen gegen das Störungsverbot zwischen einer Ordnungswidrigkeit und zwei möglichen Straftaten unterschieden.
Ordnungswidrig sind die Blockade der Zufahrtswege oder der vorgesehenen Aufzugsstrecke sowie anderweitige Störungen mit dem Ziel, die Durchführung erheblich zu behindern. Die Ordnungswidrigkeit liegt erst vor, wenn gegen eine zuvor ausgesprochene Anordnung verstoßen wird, eine bestimmte Störung zu unterlassen.
Eine Straftat ist die Gewaltanwendung oder -androhung mit der Absicht, eine Versammlung vor Beginn zu verhindern oder während der Durchführung zu sprengen. Der Strafbarkeit nicht vorausgesetzt ist der Erfolg, also eine tatsächliche Beeinträchtigung. Eine Straftat ist auch die Vereitelung „in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise“, d.h. eine besonders schwere Beeinträchtigung einer Versammlung, die zum Scheitern ihrer Durchführung führt. Neu ist hier das Erfolgskriterium. Darüber hinaus umfasst das Störungsverbot bereits Störungen im Vorfeld der Versammlung, „sofern diese Handlungen bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu verhindern“. Insoweit können bereits bestimmte Aufrufe zum Protest eine Straftat sein.
Uniformierung- und Militanzverbot
Wie im bisherigen Gesetz ist das Tragen von Kleidungsstücken, die ein einheitliches Erscheinungsbild vermitteln, verboten. Es soll jetzt aber nicht mehr darauf ankommen, dass diese Kleidungsstücke Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung sind, entscheidender sei vielmehr der äußere Eindruck von Gewaltbereitschaft und einer einschüchternden Wirkung.
Damit wird der Abschnitt in der Hinsicht verändert, das auf bestimmte „Verhaltensweisen einschließlich der Aufmachung“ eingegangen wird. Ziel ist es „ein aggressives und provokatives Verhalten der Versammlungsteilnehmer zu verhindern, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft vermittelt wird und Einschüchterungswirkungen erzeugt werden“. Umfasst sind alle „Verhaltensweisen […], die in einer […] das äußere Erscheinungsbild bestimmenden Weise […] durch die Aufmachung aller oder eines wesentlichen Teils der Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer […] erhebliche Angst bei Dritten auszulösen“ vermögen.
Es können verbotene Gegenstände und Verhaltensweisen durch die Versammlungsbehörde erklärt werden, wobei in der Begründung des Gesetzes ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass eine solche Anordnung im Versammlungsbescheid als auch unmittelbar vor oder während der Versammlung ergehen kann, auch mündlich. Sollte die Versammlungsbehörde eine andere Bewertung treffen als die Polizei, kann diese abweichende Anordnungen treffen und vollziehen. Weiter heißt es: „Kann […] die Einhaltung des Verbots nicht gesichert werden, ist über ein Verbot bzw. eine Auflösung der Versammlung gemäß § 17 zu entscheiden“.
Unverändert ist ein Verstoß gegen eine Anordnung zur Durchsetzung des Uniformierungs- und Militanzverbots eine Straftat. Der Strafrahmen wurde aber von zwei auf ein Jahr reduziert.
Möglichkeiten zur Beschränkung und Verboten von Versammlungen
Zur Begründbarkeit der Beschränkung oder des Verbots einer Versammlung stützt sich das Gesetz wie bisher auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Die Abwehr solcher Gefährdungen ist generell behördliche Aufgabe, ihr Vorliegen begründet eine Reihe spezieller Befugnisse, wie die Erhöhung der Zahl von Ordner*innen und deren Überprüfung, das Anfertigen von Bild- und Tonaufzeichnungen einer Person bei einer Versammlung, sowie Teilnahmeuntersagung und Ausschluss. In Bezug auf Versammlungen könne sich eine (abzuwehrende) Gefahr für die öffentliche Ordnung „aus der Art und Weise der Durchführung“ ergeben, „etwa bei einem agressiven und provokativen, einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Dieses gilt auch bei einem paramilitärischen Aufmarsch, der sich mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identfiziert und durch Wachrufen der Schrecken dieses Regimes andere Menschen einschüchtert“. Neu gefasst im Gesetz sind Tatbestände, wegen denen eine Versammlung „insbesondere“ beschränkt oder verboten werden kann.
Gestrichen wurde die „Frauenkirchenregelung“, also der Bezug auf bestimmte historisch-symbolisch bedeutsame Orte. Beschränkung oder Verbot können nach dem neuen Gesetz verfügt werden, wenn die Gefahr besteht, dass gegen eine nationale, rassistisch beschriebene, religiöse oder ethnische Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung usw. zu Hass, Gewalt- und Willkürmaßnahmen aufgefordert oder vor diesem Hintergrund die Menschenwürde angegriffen wird, die NS-Herrschaft gebilligt, verherrlicht, gerechtfertigt oder verharmlost wird, oder die Würde der Opfer der kommunistischen Gewalt- bzw. SED-Herrschaft in strafbarer Weise verletzt wird.
Verschärfung der Anzeigepflicht
Die bisherige Regelung, eine Versammlung spätestens 48 Stunden vor ihrer (öffentlichen) Bekanntgabe anzeigen zu müssen, wird dahingehend verschärft, dass bei der Berechnung der Frist Samstage, Sonn- und Feiertage außer Betracht bleiben.
Diese Verschärfung ist schon deshalb zu kritisieren, weil Versammlungen grundsätzlich anmeldefrei sein sollten. Für Veranstalterinnen werden sich absehbar ausschließlich negative Folgen ergeben: Zunächst wird sich die einzuhaltende Frist in zahlreichen Fällen verlängern, mitunter auf ein Vielfaches. Zwar ist für den Fall, dass die Regelfrist nicht eingehalten werden kann, die Anzeige einer Eilversammlung möglich. Durch die mögliche Unerreichbarkeit der Versammlungsbehörde an Samstagen, Sonn- und Feiertagen, ist aber damit zu rechnen, dass auch eine Anzeige einer Eilversammlung niemanden erreicht. Dadurch entsteht Rechtsunsicherheit, ob damit noch der „Anzeigepflicht“ genügt wird oder die Gefahr entsteht, wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt zu werden. Sind Anmelderinnen bereit, sich eigeninitiativ an die Polizei zu wenden, müssen sie dessen Eilzuständigkeit behaupten, bleiben aber im Unklaren darüber, ob diese Annahme geteilt wird.
Ersatzversammlungen
Anders als im bisherigen Versammlungsgesetz werden jetzt auch sogenannte Ersatzversammlungen geregelt. So ist es verboten, anstelle einer verbotenen oder aufgelösten Versammlung eine Ersatzversammlung durchzuführen oder zur Teilnahme daran aufzurufen. Ein solcher Aufruf ist sogar strafbar. In der Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei zum Gesetz wird davon ausgegangen, dass eine Ersatzveranstaltung schon vorliegt, wenn eine Versammlung auf eine „ähnliche Zielrichtung“ wie eine verbotene Versammlung abstellt.
Teilnahmeuntersagung
Wie nach dem bestehenden Gesetz, können Personen unter bestimmten Umständen aus einer Versammlung ausgeschlossen werden. Darüber hinaus wird nun erklärt, dass es sich nicht um eine Befugnis der Versammlungsleitung handelt, sondern dies nur durch die Polizei möglich ist. Darüber hinaus kann neuerdings einer Person die Teilnahme an einer Versammlung durch die Versammlungsbehörde bereits im Vorfeld untersagt werden, wenn von dieser Person eine „unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ ausgeht. In der Begründung wird nicht erklärt, für welche Anwendungsfälle diese präventive Untersagung bei Versammlungen vorgesehen ist, die wie eine „Gefährderregelung“ wirkt, bekannt eher im Bereich von Fußballspielen.
Vermummungsverbot
Keine Veränderung gibt es beim Vermummungsverbot – auch dann nicht, wenn sie dazu gedacht ist, sich z.B. vor Infektionen zu schützen. In der Begründung wird angeführt, dass in der Praxis kaum zu unterscheiden wäre, ob für die Vermummung ein „vernünftiger und nachvollziehbarer Grund“ besteht oder sie dazu dient, sich der Identifizierung durch Hoheitsträger*innen zu entziehen. Dabei steht das „Vermummungsverbot“ den Aussagen des Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss gegenüber, welches erklärte „Mit diesen Anforderungen wären erst recht behördliche Maßnahmen unvereinbar, die über die Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze hinausgehen und etwa den den Zugang zu einer Demonstration … ihren staatsfreien unreglementierten Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen (vgl. dazu BVerfGE 65, 1 [43]) verändern.“
Das eine „Vermummung“ zu mehr Gewalt auf Versammlungen führt, ist empirisch nicht belegt. Da Bild- und Tonaufnahmen bei Versammlungen erlaubt sind, können sich Teilnehmende jedoch nur schützen, wenn ihnen gestattet ist, sich unkenntlich zu machen. Schließlich gibt es zahlreiche plausible Argumente für das anonyme Demonstrieren, sei es zum Schutz vor Identifizierung durch Arbeitgeber*innen, zum Schutz vor aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen, oder zum Schutz vor Bedrohung. Mehr noch aber ist die anonyme Teilnahme an Versammlungen essentieller Bestandteil des Artikels 8 Grundgesetz.
Während der Pandemie war das Tragen von „Mund-Nasen-Bedeckung“ sogar eine Auflage der Behörden bei Versammlungen und hat deutlich gemacht, dass das „Vermummungsverbot“ in Deutschland überflüssig ist. Immer wieder werden Versammlungen gestoppt oder ihnen eine Auflösung durch die Polizei angedroht, wenn vermeintliche Vermummungen nicht unterlassen würden. Häufig werden Personen wegen des Vorwurfs der rechtswidrigen Vermummung einschüchternden Identitätsfeststellungen unterzogen. Nicht selten entschieden Staatsanwaltschaften und Gerichte erst Monate oder Jahre später abschließend infolge eines von der Polizei in Gang gesetzten Ermittlungsverfahrens wegen der angeblichen Vermummung, dass kein Rechtsverstoß vorgelegen habe.
Dennoch sind die Daten der Betroffenen bereits erfasst und stehen jahrelang in den polizeilichen Datenbanken, wie Auskunftsersuchen von politisch Engagierten regelmäßig aufzeigen. Vor allem in Sachsen zeigen parlamentarische Anfragen deutlich, dass der Tatbestand des „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz“ wegen Vermummung in den letzten Jahren vor allem dafür genutzt worden ist, die polizeiliche Kriminalitätsstatistik mit Einträgen in der Rubrik „links“ zu füllen.
Aufschiebende Wirkung
„Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verfügungen nach diesem Gesetz haben keine aufschiebende Wirkung.“ Diese Regelung ist neu, bisher mussten Versammlungsbehörden den Wegfall der aufschiebenden Wirkung anordnen und teilweise begründen. Mit der neuen Regelung kann somit der einstweilige Rechtsschutz erschwert werden. Gemeint ist hier die juristische Auseinandersetzung über angeordnete Auflagen der Behörden gegenüber den Veranstalterinnen vor Gericht.